Vom Fühlen und Wissen
Einleitung
Zwischen dem Unbewussten und dem Bewusstsein befindet sich eine Ebene, die ihr Dasein aus beiden Sphären speist. Einerseits aus dem Unwillkürlichen, über das der freie Wille keine Macht hat, andererseits aus der bewussten Wahrnehmung des Selbst, über das wir zu herrschen glauben. Wenn uns beipspielsweiese der Anblick eines Sonnenuntergangs ergreift oder wir uns in einen anderen Menschen verlieben, oder wenn uns ein schweres Schicksal ereilt, dann sind wir uns des Gefühls zwar gewahr, haben aber keine Wahl, sonderen fühlen uns von den Emotionen gleichsam überwältigt. Diese Emotionen liegen außerhalb unserer Willkür. Wer hätte sich schon absichtlich verliebt oder wer hätte es jemals geschafft, eine unentgegnete Liebe willentlich zu vergessen. (Nebenbei erscheint es mir bemerkenswert, dass wir wohl in der Lage sind, etwas absichtlich zu lernen, aber nicht etwas absichtlich zu vergessen).
Diese Emotionen entspringen stammesgeschichtlich älteren Regionen des Gehirns, dem sogenannten limbischen System. Den Einfluss des limbischen Systems kann man über viele Entwicklungsstufen hinab verfolgen. Eine schnelle und dominante Reaktion des limbischen Systems war von Vorteil, als sich unsere Vorfahren in der Savanne schnell zwischen Kampf und Flucht entscheiden mussten, wenn ein Feind vor ihnen stand, sei es ein Mensch, oder ein Tier.
Wahrscheinlich verfügen alle Säugetiere über Triebe, die sich über allgemeingültige Emotionen, wie Freude, Trauer, Verlangen manifestieren. Jeder Hundebesitzer wird bestätigen, dass sich sein Gefährte aufrichtig freut, wenn er sein Herrchen oder Frauchen nach längerer Abwesenheit wiedersieht. Ich behaupte hier nicht, dass sich das Tier absichtlich oder wissentlich freut. Es scheint mir aber evident, dass die Emotion des Tieres der unseren, wenn wir ein geliebtes Wesen wiedersehen, weitestgehend gleicht. Die Freude des Tieres von der unsren als "instinktiv" abzugrenzen, halte ich für Chauvinismus. Es ist daher wahrscheinlich, dass das beobachtbare Verhalten bei Tier und Mensch gleichermaßen "instinktiv" stattfindet, das heißt, dass in den genannten Beispielen der Wille von der Emotion geleitet wird und nicht anders herum. Das Bewusstsein ist Beobachter und nicht Initiator.
Ob Tiere ein Bewusstsein haben, scheint unklar. Zumindest höher entwickelten Spezies, die uns ähnlich erscheinen und bei denen wir glauben, dass wir uns in sie hineinversetzen können, mögen sich ein Gewahrsein zuschreiben, das dem unseren ähnlich ist. Wie sollte es auch nicht so sein, da sie und wir doch allesamt Teil der natürlichen Evolution sind.
Bisweilen erschrecken wir sogar, wenn wir in einem Tier, das uns so unähnlich erscheint, etwas menschliches vernehmen.
Als Beispiel möchte ich hier den Raben anführen, dessen Selbstbewusstsein sich, nach dem aktuellen Stand der Forschung, auf der Ebene eines vierjährigen Kindes befindet. Andere Fähigkeiten, wie das Rechnen oder Erinnern von Personen, gehen noch über dieses Stadium hinaus.
Macht und Ohnmacht
Von den Emotionen zu unterscheiden sind die Gefühle. Während der Wille keine Macht über erstere hat, hat er bei letzteren doch eine Wahl. Wir kennen den Ratschlag "Sieh es doch einmal so", und wenn wir uns darauf einlassen, entsteht aus dem Wechsel der Perspektive in uns ein anderes Gefühl. Wir nehmen einen neuen intentionalen Standpunkt ein und modifizieren so unser Gefühl zum Gesamtbild unserer Welt.
Wir sind uns aber darin einig, dass sich der Mensch über sich selbst, über seine Gefühle und über das Denken über sich selbst und seine Gefühle, bewusst ist. (Ansonsten wäre die Entstehung dieses Textes nur schwer erklärlich). Worüber man sich allerdings uneinig sein kann, ist der Standpunkt, dass das von ihm wahrgenommene Bewusstsein des Menschen als "Homo Sapiens Sapiens", auf irgendeine Art und Weise über den Gefühlen stünde, ja, dass die Gefühle sogar von einer Art minderer Qualität wären, was den Ratschlag bei alltäglichen Entscheidungen anginge. Im Folgenden führe ich aus, dass das Gegenteil der Fall ist: Der Mensch ist durch und durch ein Gefühlswesen und hat auch nicht die Fähigkeit, sich darüber zu erheben. Hätte der Mensch eine Neigung zur Logik, hätten nicht so viele Probleme mit der Mathematik.
Skepsis gegenüber der menschlichen Einsicht
Der Mensch handelt, wenn er eine Wahl hat, nach dem Dikat seiner Einsicht. Es ist ihm unmöglich, sich gegen sich selbst zu entscheiden. Selbst zu einer Entscheidung, die im schwer fällt, zum Beispiel entgegen seiner "eigentlichen" Überzeugung ein langweiliges Fest zu besuchen, kam er durch inneres Abwägen und letztlich gewinnt die Alternative, die am wenigsten Widerspruch in der Vorstellung hervorruft. Man könnte auch sagen, deren Vorstellung am angenehmsten ist.
Wir meinen damit übrigens nicht, dass der eigentliche Gegenstand, auf den sich die Entscheidung bezieht, die angenehmste Alternative für das Individuum sein muss, sondern die Entscheidung an sich. Zum Beispiel weiß ein Alkoholiker sehr wohl, dass er sich und seiner Umgebung Schaden zufügt. Es kann sogar so weit gehen, dass man sich wohl dabei fühlt, sich schlecht zu fühlen, wie es bei einer Depression zum Ausdruck kommen kann.
Dieser Vorgang spielt sich meist nicht bei bewussten, sondern unbewussten Entscheidungen ab. Die durch den geringsten inneren Widerspruch gekennzeichnete Alternative leuchtet also unmittelbar ein und wird, da wir uns für sie entschieden haben, auch für die richtige Entscheidung gehalten. (Übrigens kommt es durch das Erlebnis der Einsicht dabei oft zu der Einstellung, dass der eigene Standpunkt universell gültig sei, im Sinne eine "echte Wahrheit" gefunden zu haben)
Es kommt vor, dass sich ein Irrtum schnell als solcher herausstellt (es ist keine gute Idee in den Löwenkäfiug zu klettern, auch wenn der Löwe so kuschelig aussieht, andere Irrtümer brauchen länger um entdeckt zu werden (zum Beispiel die Partnerwahl), andere Irrtümer wirken sich nicht einmal innerhalb unserer Lebensspanne aus. Wahrscheinlich ist es für die Erhaltung unserer Lebensgrundlage schädlich, fossile Brennstoffe zu verschwenden. Dies gehört inzwischen zum Allgemeinwissen. Trotzdem reisen jährlich Millionen von Menschen in den Urlaub. Der Grund für diesen Verhalten ist oben beschriebener Entscheidungsprozess. Die angenehme, weil instinktiv fühlbare Vorstellung eines gemeinsamen Urlaubs mit der Familie, übertrifft die Vorstellung zur Schonung der Ressourcen beigetragen zu haben, in der Regel bei Weitem, weil letztere einen Akt der Selbstbeherrschung voraussetzt.
Sensus est omnia
So schließen wir mit der Vorstellung, dass der Mensch kein vernunftbegabtes Wesen ist, wie er von sich selbst behauptet. Er kann weder erkennen, was richtig oder falsch ist, noch kann er sich gegen sich selbst entscheiden. Auch vermeintlich rein logische, sachliche, nüchterne Entscheidungen trifft er auf Grund dessen, was er sich individuell als vernünftig vorstellt.
Wir stellen daher ab hier die Vernunft nicht mehr als getrennt von den Gefühlen dar. Der Mensch ist reines Gefühlswesen. Neben den Gefühlen Liebe, Hass, Eifersucht, Angst, Neid usw. stellt sich gleichberechtigt das Gefühl der Vernunft.
Klarstellung
Was hier behauptet wurde, gilt natürlich auch für den Autor dieses Beitrags. Uns ist oft begenet, dass jemand einen Gegenstand verurteilt hat und sich selbst nicht meinen wollte. Dabei kann ein jeder wissentlich falsch handeln.