Das ewige Kind (2) - Kastalien-Online

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Das ewige Kind (2)

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Eine kurze Geschichte des Erwachsenwerdens

Bis ins 16. Jahrhundert hinein wurde kein Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen gemacht. Damals verfasste Schriften wandten sich beispielsweise immer an alle Menschen gleichermaßen, egal welchen Alters.

Mit der Aufklärung und dem technischen Fortschritt kommt die Unterscheidung zwischen dem ungebildeten Kind und dem Erwachsenen, der seinen "Mann" stehen muss. Bald schläft das Kind nicht mehr im Zimmer der Eltern, es wird zwischen Kinder- und Erwachsenen-Kleidung unterschieden und vor allem wird das Kind durch Schule und Kirche auf seine Zeit als Erwachsener vorbereitet. Initiationsriten, wie die Kommunion oder Konfirmation, werden zeitlich mit dem körperlichen Wandel der Pubertät verbunden und sind für alle sichtbare Zeitmarken, nach denen das Kind zum Erwachsenen erklärt wird. Später war dies in der Regel auch das Ende der Schulzeit und der Eintritt in eine Lehre.

Deutlich wird diese Trennung, als 1717 Friedrich der Erste von Preußen weitsichtig die allgmeine Schulpflicht einführt, um seine bäuerliche Gesellschaft zum "Volk der Dichter und Denker" umzuformen, auf dass es in dem aufkommenden Sturm der Industrialisierung nicht untergehe. Dem Muster einer Kaserne folgend, werden die Kinder unbeachtet ihrer Neigungen in "Kompanien" eingeteilt, denen ein Hauptmann in Gestalt des Lehrers vorsteht. Auf dem Schulhof (=Kasernenhof) stellen sich die Rekruten in Reih und Glied um zum Unterricht zu marschieren. An anderer Stelle sei näher beschrieben, wie sehr dies noch heute der Fall ist und wie sehr dies den Bedürfnissen zuwider läuft.


Mit der Industrialisierung kommt auch die Trennung von Heim und Arbeitsplatz. Lag die Werkstatt des selbstätig schaffenden Handwerkers noch im Erdgeschoss seines Hauses, wo seine Kinder bei Arbeit zusahen und damit lernen konnten, so musste der moderne Mensch hinaus, zur Arbeit in der Manufaktur Haus und Heim verlassen und als "Erwachsener" seiner Lohntätigkeit außerhalb der Familie nachgehen. Es blieb ihm keine Wahl, denn mit der einsetzenden Mechanisierung der Arbeit entfielen ganze Handwerkszweige und es etablierte sich eine Zweiteilung des alltäglich gewohnten Lebens zwischen selbst- und fremdbestimmter Zeit.

Übrigens bewirkt diese Trennung auch, dass es seitdem eine Trennung zwischen Privatem und Öffentlichem gibt. Der Mensch beginnt sich set dem 16. Jhd. mehr und mehr für sich selbst zu interessieren. Das Leben findet nicht mehr nur in der Öffentlichkeit statt, sondern auch in der Zurückgezogenheit der eigenen Wohnung, welche nun erstmals nach dem indivuellen Geschmack eingerichtet wird. Das Schreiben von Tagebücher kommt in Mode, von denen allen voran das Tagebuch des Samuel Pepys einen beredten Einblick in die damalige Zeit gibt. Wir werden später unserer Meinung Ausdruck geben, weshalb dies geschah.

Die Menschen in industriell geprägten Ländern glauben heutzutage, dass das Leben schon immer aus einer unbedarften Kinderzeit im Kontrast zur beschwerlichen Erwachsenenzeit bestand. Es fällt ihnen schwer zu glauben, dass es jemals anders war oder sein könnte, da ihnen von klein auf die Trennung von Kinder- und Erwachsenenzeit, von Heim und Arbeitsplatz und von Frei- und Arbeitszeit vertraut ist. Den Jäger und Sammler der Vorzeit kann man sich schwerlich anders vorstellen, als dass er sich zur einen Zeit dem "Beruf" des Jagens und Sammelns widmete, während er davon getrennt die freie Zeit der Erholung mit seiner Sippe verbrachte. Wie die Höhlenbildnisse berichten, gab es allerdings eine solche Unterscheidung nicht. Vielmehr lebten unsere Vorfahren ein einziges Leben, in dem sich die verschiedenen Aufgaben über Generationen hinweg zu einem Ganzen verbanden.

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