Vom freien Willen
Wir, und alle Lebewesen auf diesem Planeten mit uns, sind uns unseres Selbst bewusst. Sie wissen, dass Sie da sind wo Sie sich gerade befinden und nehmen sich selbst als etwas Ganzes und Einheitliches wahr. Sie spüren ihre Gliedmaßen und wissen, dass das Gerät vor Ihnen nicht Teil Ihrer selbst ist. Schon Einzeller können zwischen dem Selbst und dem Anderen unterscheiden. Wäre dem nicht so, würde jedes Lebewesen augenblicklich damit beginnen, sich selbst zu verspeisen. Außerdem haben Sie ein deutliches Empfinden für das Hier und Jetzt, für das was gewesen ist und für das, was in der Zukunft liegt.
Das ist nicht ganz selbstverständlich. Was des Gehirn leistet, um diesen Eindruck aufrecht zu erhalten, ist, so normal es erscheint, enorm. Bei bestimmten Krankheiten oder unter dem Einfluss von Drogen, kann dieser Eindruck völlig verloren gehen, wie man eindrucksvoll in den Veröffentlichungen von Oliver Sacks nachlesen kann.
Ihr Bewusstsein gibt ihnen den Eindruck, Herr oder Frau über sich selbst zu sein und dass Ihr Ich, Ihr Ego, Ihre Seele jederzeit über sich selbst entscheiden kann. Dieser Schein trügt. Wie Gehirnscans zeigen, werden Entscheidungen schon getroffen, bevor sie Ihr Bewusstsein erreichen. In Versuchen sollten Testpersonen die Entscheidung treffen, ob sie zu einer vorgegebenen Zeit eine Taste drücken oder nicht. Während die Personen den Eindruck hatten, zur vorgegebenen Zeit die Entscheidung spontan getroffen zu haben, war am Hirnscanner schon mehrere Sekunden vorher sehen, wie sich die Person entscheiden würde. Irgendetwas im Gehirn des Menschen trifft also eine Wahl, noch bevor es dem Hirn-Besitzer gewahr wird. Die bewusst wahrgenommene Aktion folgt einer tiefer liegenden des Unterbewusstseins.
Sind wir deshalb Marionetten eines Organs? Folgen wir dem physikalischen Zwang der Atome? Ich glaube nicht. Obwohl unsere Wahrnehmung der eigentlichen Entscheidung hinterher hinkt, haben doch die Prozesse in unserem Gehirn, auf Grund der Lebenserfahrung und unter Abwägung von Prognosen, die Entscheidung eben so getroffen, wie sie sich unser Bewusstsein vorgestellt hätte. Bewusstsein und Unterbewusstsein sind untrennlich in unserem Selbst vereint.
Aber nichts desto trotz: Was wir für unser Selbst halten, ist nicht der Dirigent unseres Orchesters. Was wir für unsere freie Entscheidung halten, entspringt tieferen Schichten unser Hirnaktivität.
Wo dies zu Tage tritt ist in dem Moment, wo wir des Abends im Bett hineingleiten vom Bereich des Wachseins, in die Welt des ohnmächtigen Schlafs, dem Bruder des Todes. Viele haben wohl schon erlebt, dass an dieser Schwelle ein Ruck durch ihren Körper ging. Welches Gedankenbild geht diesem Ereignis voraus? Oft ist es ein Stolpern, das Verfehlen einer Treppenstufe oder ähnliches. Neurologisch betrachtet, tritt dieses Ereignis ein, wenn, in Vorbereitung für den Schlaf, die Aktivität des somatischen Nervensystems blockiert wird, weil wir andernfalls unsere Beine bewegen würden, wenn wir träumen zu laufen. Da die Geschichte, dass man zum Beispiel stolpert, vom Gehirn als Erklärung für das nächtliche Zucken herangezogen wird, kann man erkennen, dass das bewusste Wahrnehmen der Stolper-Erklärung erst später als Erklärung dient. Das Gehirn konstruiert dem noch wachen Bewusstsein eine Geschichte, welches die Erklärung quasi im Nachhinein präsentiert bekommt, nachdem schon alle Entscheidungen von tieferen Ebenen getroffen wurde